Leitartikel im Schaffhauser Bock vom 25.04.2019

Aktuell sind im Kanton Schaffhausen noch viele Stellen für Lehrpersonen unbesetzt

Mangel zeichnet sich ab

Im Kanton Schaffhausen sind Lehrpersonen absolute Mangelware. Ein Grund dafür ist das unbefriedigende Lohnsystem, doch andere Faktoren wirken mit.

Autor: Ramona Pfund

68 Anstellungen für Lehrpersonen sind aktuell im Kanton Schaffhausen ausgeschrieben. Dass der Kanton seit einigen Jahren ein wachsendes strukturelles Problem bezüglich Lehrpersonen hat, ist keine neue Meldung. Doch die hohe Anzahl offener Stellen so kurz vor Ende der Frühlingsferien beunruhigt nicht nur die betroffenen Schulbehörden, sondern auch den kantonalen Lehrerverein (LSH) und den Regierungsrat. «Die Situation ist angespannt und schwierig. Aktuell sind im Stellenportal des Kantons mehr offene Stellen ausgeschrieben als in den Vorjahren zu diesem Zeitpunkt», sagt Erziehungsdirektor Christian Amsler und fügt an, dass Anzeichen eines verstärkten Lehrermangels vorhanden seien. Bei einem kürzlichen Treffen mit den Schulpräsidien hörte er davon, dass auf einige Stellen nur ganz wenige oder teils gar keine Bewerbungen eingingen. Patrick Stump, Co-Präsident des LSH, sieht die Lage als sehr prekär an: «Wenn am Ende der Frühlingsferien noch immer so viele Stellen nicht besetzt sind, muss man von einem Notstand bei der Rekrutierung von Lehrpersonen sprechen.»Lohn als zentrales AnliegenDen Hauptgrund dafür sieht der LSH im Schaffhauser Lohnsystem, das enorm hinter den umliegenden Kantonen und auch hinter dem Schweizer Durchschnitt liegt. Das Thema wird immer wieder öffentlich diskutiert, da bei Änderungen der Kantonsrat das letzte Wort hat – bereits mehrmals hat sich dieser gegen eine Anpassung entschieden. Die kantonale Statistik zeigt: Eine generelle, teuerungsbedingte Lohnanpassung (plus 2,5 Prozent) fand letztmals 2009 statt. Individuelle, leistungsbedingte Erhöhungen befanden sich in den letzten zehn Jahren jährlich zwischen 0 und 1,2 Prozent der Lohnsumme. «Seitens Kantons- und Regierungsrat erwarten wir eine Grundsatzdebatte. Würden wir das aktuelle Lohnsystem weiterverwenden, müsste der Kantonsrat einer Lohnerhöhung von zirka 25 Prozent über alle Stufen zustimmen, um die Löhne auf das zürcherische Niveau anzuheben», erklärt Patrick Stump. Einmalig zwei oder drei Prozent Lohnerhöhung zu sprechen oder erneut Pro-City-Gutscheine zu verteilen, wären gemäss LSH nur Tropfen auf den heissen Stein und würden die Abwanderung der Lehrpersonen in die Nachbarkantone, wo deutlich mehr zu verdienen ist, nicht aufhalten.Auch Christian Amsler sieht den Lohn als Komponente für die aktuelle Lehrerknappheit. Diesen allerdings alleine dafür verantwortlich zu machen, sei sehr kurz gegriffen: «Es findet sicherlich kein eigentlicher Exodus in Nachbarkantone statt. Aber klar schauen ungebundene Berufsneulinge in den ersten Jahren auch den Lohn an und sehen, dass er über dem Rhein deutlich höher ist.»Babyboomer, Schulleitungen, ElternDer Erziehungsdirektor sieht weitere Faktoren für den Lehrermangel, die ebenfalls eine grosse Tragweite haben. Neben der Ausbildung haben sich auch Aufgaben, Anforderungen und vor allem das Ansehen der Lehrer verändert, so Christian Amsler: «Die Belastung in den pädagogischen Berufen ist heute enorm. Man ist konfrontiert mit stark fordernden Eltern, die immer mehr auch mit einem Rechtsanwalt im Rücken einfahren.» So nehme der Druck des Erzieherkonflikts stetig zu. «Dies ist das innere Dilemma des Lehrers, einerseits den Schüler zu verstehen und andererseits bestimmte Massnahmen durchzusetzen.» Dies sei für viele junge Lehrpersonen eine sehr grosse Herausforderung. Am anderen Ende der Alterspyramide gebe es ebenfalls ein grosses Problem: «Die Demografie schlägt voll durch. Die Babyboomer gehen in Pension, auch bei den Lehrerinnen und Lehrern.» Zu wenig Wertschätzung sei ein weiterer unglücklicher Umstand: «Wir haben in Schaffhausen sehr gute Schulen mit ausgezeichneten Resultaten in den interkantonalen Vergleichen. Unsere Lehrerinnen und Lehrer machen einen sehr guten Job. Es gilt für uns alle, dem Lehrberuf aktiv Wertschätzung entgegenzubringen und an einem guten Image mitzuarbeiten.»Entsprechend sieht auch Patrick Stump die Entlohnung nicht als einzige Ursache für den Mangel: «Es existieren weitere Probleme: Wir haben als einziger Kanton der Deutschschweiz nicht flächendeckend Schulleitungen, da dies der Souverän abgelehnt hat. Wir haben kein kantonales Konzept im Bereich der integrativen Beschulung, und das Konzept zu Medien und Informatik des Kantons Schaffhausen ist erst Ende letzten Jahres präsentiert worden, zu einem Zeitpunkt, an welchem in anderen Kantonen das Fach schon integraler Bestandteil der Volksschule war.»Qualitätsveränderung als KonsequenzNatürlich bedeutet auch ein Lehrermangel nicht, dass Kinder im kommenden August vor einem leeren Lehrerpult sitzen. Per Gesetz sind die Schulbehörden verpflichtet, Schule stattfinden zu lassen. «Wenn sich aber zu wenige, ungenügend qualifizierte oder Lehrpersonen mit schlechten Arbeitszeugnissen bewerben, die Gemeinden aber zwingend Personen einstellen müssen, ist auch klar, dass die Schulqualität leidet», so Patrick Stump. An einigen Zahlen verdeutlicht er, wie sich die Situation im Kanton aktuell gestaltet: Mehr als 30 Personen würden als schulische Heilpädagogen arbeiten, ohne über ein entsprechendes Diplom zu verfügen. Zudem würden mehrere Primarlehrpersonen – mangels Lehrpersonen mit Ausbildung Sekundarstufe I – in der Oberstufe unterrichten. «Und noch dramatischer ist, dass fünf Personen am Unterrichten sind, die gar keine pädagogische Ausbildung haben», erzählt der Lehrer, «und diese Zahlen beziehen sich bloss auf Anstellungen über 50 Prozent. Wie viele Lehrpersonen mit Kleinpensen stufenfremd oder ohne Ausbildung mit Kindern arbeiten, entzieht sich unserer Kenntnis.»Gemäss Erziehungsdepartement dürfen nicht adäquat ausgebildete Lehrpersonen nur mit Bewilligung der Schulaufsicht, befristet und mit Lohnreduktion zumEinsatz kommen. Christian Amsler möchte bei der Ausbildung der Lehrpersonen keine Kompromisse eingehen: «Da sind wir sehr strikt im Interesse der Qualität unserer Schule. Es ist nun einmal so, dass nicht einfach jede und jeder Schule geben darf und kann. Das sind wir den Schülerinnen und Schülern, der Profession und der Schulqualität schuldig.» Quereinsteiger und Lehrpersonen mit ausländischem Diplom müssen an der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen eine Nachqualifikation erlangen oder eine Berufseinführung besuchen. Doch das sollte nicht Usus werden, so der Erziehungsdirektor: «Bei zu viel Nachqualifikationen und ‹Schnellbleichen› befürchte ich eine demoralisierende Wirkung. Da denkt sich doch jeder Sek-I-Lehrer: Warum habe ich vier Jahre studiert, wenn jetzt einer nach kurzer Ausbildung dasselbe machen darf?»Zu spät für SofortmassnahmenDie Schulen erstellen derzeit bereits die Stundenpläne und teilen die Räumlichkeiten zu. Deshalb müssten zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich auch bereits die Mehrheit der Stellen besetzt sein. «Es ist daher zu spät für Sofortmassnahmen in Bezug auf das kommende Schuljahr. Politische Massnahmen sind aber dringend angezeigt, damit sich die seit Jahren anhaltende schlechte Situation endlich entspannen könnte», sagt Patrick Stump, der aber befürchtet, dass es auch bei grosser Anstrengung seitens Politik noch Jahre oder Jahrzehnte dauern wird, bis alle Versäumnisse wieder wettgemacht sein werden. «Seitens LSH versuchen wir in den kommenden Monaten, Bevölkerung und Politiker darauf zu sensibilisieren, dass nur mit rigorosen Lohnmassnahmen und verbesserten Rahmenbedingungen der Trend gestoppt werden kann, immer mehr unzureichend ausgebildete oder nachqualifizierte Lehrpersonen anstellen zu müssen.» Um diese Anliegen in die politische Debatte zu tragen, arbeitet der LSH mit politischen Vertretern zusammen.Engagiert ist in dieser Beziehung auch der Regierungsrat, der anerkennt, dass sich die Situation eher verschärft als entspannt, versichert Christian Amsler: «Für den Regierungsrat ist klar: Falls der Kanton keine Massnahmen zur Alimentierung des Lohnsystems ergreift, welche die Konkurrenzfähigkeit erhöhen, wird sich der Arbeitgeber massiven Rekrutierungsproblemen gegenübergestellt sehen. Die Mitglieder des Kantonsrats sind hier stark mit in der Verantwortung, denn sie sind es, die letztlich Mittel sprechen. Ein Zuwarten ist keine Lösung, weshalb jetzt die nötigen Massnahmen zu ergreifen und entsprechende Mittel zu gewähren sind.»Patentrezepte zur Lösung der Situation gibt es keine. Meistens greifen Massnahmen erst, wenn das schlimmste Beben bereits vorüber ist. Mit der Situation eines Lehrermangels ist der Kanton Schaffhausen nicht alleine. Welche Massnahmen ergriffen werden könnten, bespricht die Regierung auch mit anderen Kantonen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.