Lehrermangel - Interview mit dem Schaffhauser Bock

Interview für den Schaffhauser Bock vom 25.04.2019

Fragen: Ramona Pfund, Schaffhauser Bock

Antworten: Cordula Schneckenburger & Patrick Stump, Co Präsidium LSH

Die Kündigungsfristen für Lehrpersonen im Kanton Schaffhausen sind bereits abgelaufen. Was für ein Bild zeichnet sich derzeit bezüglich der Personalsituation konkret in den Primarschulen ab? Wie sieht es bei den Kindergärten und Sekundarschulen aus?

 

Insgesamt sind im Kanton Schaffhausen (per 21.04.2019) 68 Anstellungen für Lehrpersonen ausgeschrieben. Diese teilen sich auf wie folgt: 6 Stellen im Kindergarten, 29 an der Primarschule, 18 auf der Sekundarstufe I, 12 als Schulische Heilpädagoginnen, 2 als Lehrpersonen für Deutsch als Zweitsprache sowie eine als Logopädin. Hinzuzufügen ist aber, dass mehr als die Hälfte aller Stellen ein grosses Arbeitspensum (über 50 Prozent) verlangen und eine Mehrheit der Lehrpersonen lediglich im Teilpensum unterrichtet. Das heisst, dass die 68 ausgeschriebenen Stellen nicht 68 fehlende Lehrpersonen bedeuten, sondern schätzungsweise gegen 100.

 

Wie ist die Tendenz hinsichtlich der Kündigungen? Zeichnet sich die Lohnsituation/-debatte ab bzw. wandern viele Lehrpersonen in andere Kantone ab?

 

Da bei einer Kündigung kein Grund angegeben werden muss und wir als LSH keinen Einblick in die Personalien der einzelnen Gemeinden haben, können wir diese Frage nicht abschliessend beantworten. Es ist aber tatsächlich so, dass wir Kenntnis haben von mehreren Lehrpersonen, welche aus Lohngründen den Kanton verlassen oder auch nach einer Auszeit nicht mehr in unserem Kanton nach einer Anstellung suchen. 

 

Wie gestaltet sich die Suche nach neuen Lehrpersonen? Bietet sich den Schulen eine grosse Auswahl an Kandidaten?

 

Auch in diesem Bereich sind die einzelnen Gemeinden zuständig und wir haben keine Einsicht in die entsprechenden Unterlagen. Wenn aber am Ende der Frühlingsferien noch immer so viele Stellen nicht besetzt sind, muss man von einem Notstand bei der Rekrutierung von Lehrpersonen sprechen. 

Auch weiss man, dass in Kanton Schaffhausen bereits heute mehr als 30 Personen als Schulische Heilpädagogen arbeiten, ohne über ein entsprechendes Diplom zu verfügen oder dass mehrere Primarlehrpersonen in der Oberstufe unterrichten mangels Lehrpersonen mit Ausbildung Sekundarstufe I. Und noch dramatischer ist, dass sogar fünf Personen am Unterrichten sind, welche gar keine pädagogische Ausbildung haben. Und all' diese Zahlen beziehen sich bloss auf Anstellungen über 50 Prozent. Wie viele Lehrpersonen mit Kleinpensen stufenfremd oder ohne Ausbildung mit unseren Kindern arbeiten, entzieht sich unserer Kenntnis...

Dies bedeutet, dass schon in den vergangenen Jahren zu wenige qualifizierte Lehrpersonen zur Verfügung standen und man bereits heute viele Schülerinnen und Schüler mit nicht adäquat ausgebildetem Lehrpersonal beschult.

 

Werden verhältnismässig viele ausländische – vornehmlich deutsche – Lehrpersonen engagiert? Wie werden diese geschult oder was wird unternommen, damit auch die lokale/regionale/nationale Kultur und die Mundart im Unterricht Platz findet?

 

Auch hier liegen dem LSH keine Zahlen vor. Die Kantonsregierung schreibt, dass zurzeit 25 Lehrpersonen mit ausländischem Diplom arbeiten. Diese Zahl ist aber nicht sehr aussagekräftig, da Lehrpersonen, welche nicht über ein anerkanntes Diplom verfügen, innerhalb von zwei Jahren sogenannte Ausgleichsmassnahmen absolvieren müssen. Das heisst, sie müssen sich nachqualifizieren, um eine Äquivalenz zu einem Schweizer Diplom zu erlangen. Ab diesem Zeitpunkt werden sie Lehrpersonen mit Schweizer Ausbildungen gleichgestellt.

Dass diese Lehrerinnen und Lehrer aber keine Mundartinseln in ihren Unterricht einbauen werden, ist klar. Im Lehrplan 21 kommt der Begriff "Mundart" elfmal vor im Sinne einer zu erwerbenden Kompetenz. Ebenso klar ist, dass eine ausländische Lehrperson eher weniger daran interessiert ist, eine Bundesratswahl zu analysieren oder unseren Föderalismus zu thematisieren, was aber Grundpfeiler unseres Demokratieverständnisses sind. 

Wichtig ist zu sagen, dass an dieser Entwicklung nicht unsere ausländischen Lehrpersonen schuld sind, sondern Gründe wie die unzureichende Zahl ausgebildeter Schweizer Lehrpersonen sowie die Kantonalen Lohnunterschiede.

 

Zeichnet sich im Kanton Schaffhausen ein Lehrermangel für das kommende Schuljahr ab?

 

Ja, davon ist auszugehen. Das heisst aber nicht, dass einzelne Kinder keine Lehrperson vor sich stehen haben werden. Die zuständigen Schulbehörden sind nämlich per Gesetz dazu verpflichtet, Schule stattfinden zu lassen. Wenn sich aber zu wenige, ungenügend qualifizierte oder auch Lehrpersonen mit schlechten Arbeitszeugnissen bewerben, die Gemeinden aber zwingend Personen einstellen müssen, um dem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden, ist auch klar, dass die Schulqualität leidet. 

 

Falls ja, mit welchen Sofortmassnahmen müsste diesem von politischer Seite entgegengewirkt werden?

 

Politische Sofortmassnahmen dürften für das kommende Schuljahr schon zu spät sein. Lehrpersonen planen ihre Stellenwechsel jeweils anfangs des Kalenderjahrs. Zurzeit sind wir am Erarbeiten der Stundenpläne und Zuteilen der Räumlichkeiten. Deshalb müssten wir jetzt eigentlich auch bereits die Mehrheit der Stellen besetzt haben.

Politische Massnahmen sind aber dringend angezeigt, damit sich die seit Jahren anhaltende, schlechte Situation endlich entspannen könnte. Aber auch bei grosser Anstrengung seitens Politik wird es noch Jahre oder Jahrzehnte brauchen, bis wir alle Versäumnisse wieder wettgemacht haben werden.

 

Hat die aktuelle Situation bezüglich der problematischen Entwicklung der Entlöhnung Einfluss auf die Bildung der Kinder und in welchem Ausmass? Wie ist einer solchen Konsequenz von innen und von aussen entgegenzuwirken?

 

Stellen Sie sich folgendes vor: Sie sind 25 Jahre alt und haben soeben ihr Studium als Lehrperson abgeschlossen. Sie haben sich für eine Stelle beworben in Schaffhausen, eine in Feuerthalen und eine in Diessenhofen. Wenn Sie nun die Lohndifferenz ausrechnen bis sie 65 Jahre alt sind ergibt sich folgendes Bild: In Diessenhofen werden sie im Laufe ihres Berufslebens über eine halbe Million Franken mehr verdienen und in Feuerthalen gar über eine Million Franken mehr als in Schaffhausen. Nun die 1-Million-Frage: Wo werden sie wohl zusagen? Und die Anschlussfrage: Sie sind Schulbehörde in Diessenhofen und haben zwei Bewerbungen aus dem Kanton Schaffhausen. Stellen Sie die besser oder die schlechter qualifizierte Lehrperson ein? Und das traurige Fazit: Wer wird dann die Stelle in Schaffhausen antreten...?

Früher sagte man auch in Schaffhausen, ich mag mich daran noch erinnern, dass bei der Bildung nicht gespart werden dürfe. Aber eben, das war früher.

Und wenn Sie fragen, welche Auswirkungen das auf die Bildung hat, möchte ich Ihnen Folgendes aufzeigen: Um Schulische Heilpädagogin oder Heilpädagoge zu werden, müssen Sie im Anschluss an ihr Lehrerstudium noch zwei weitere Jahre an der Interkantonalen Schule für Heilpädagogik einen Masterstudiengang belegen. Als derart ausgebildete Fachperson arbeiten dann mit Kindern, welche durch den SAB, der Abteilung für schulische Abklärung und Beratung, psychologisch abgeklärt wurden und denen entsprechende schulische Fördermassnahmen zustehen. Aktuell steht für gut einen Drittel der Kinder und Jugendlichen mit besonderen schulischen Bedürfnissen keine entsprechend ausgebildete Lehrperson zur Verfügung. Das heisst, diese Kinder werden nicht so beschult, wie dies vorgesehen ist. 

 

Die Lage spitzt sich durch die Lohndebatte zu, in den kommenden Jahren dürfte es nicht einfacher werden, die offenen Stellen zu besetzen. Was erwarten Sie diesbezüglich von Kantons- und Regierungsrat? Welche Massnahmen plant der LSH selbst?

 

Die Lohnsituation ist sicher das drängendste Problem. Nicht zuletzt deshalb, weil Lohnanstiege vom Wohlwollen des Parlamentes abhängig sind und sich dieses in den letzten Jahren in seiner Mehrheit nicht auf die Seite des Staatspersonals geschlagen hat. Die Einstiegslöhne sind gesetzt, Entwicklungen, wie sie dem Internet entnommen werden können, sind weit entfernt von der reellen Situation.

Es existieren aber noch weitere Probleme: Es gibt weder ein Konzept im Bereich Schulleitungen noch eines im Bereich der integrativen Beschulung. Und auch im Bereich Medien und Informatik hinken wir den anderen Kantonen hinterher.

Nun zu den Erwartungen des LSH: Seitens Kantons- und Regierungsrat erwarten wir eine Grundsatzdebatte, welche zu wirksamen Sofortmassnahmen führt. Wenn wir beispielsweise das gültige Lohnsystem weiterverwenden, müsste der Kantonsrat einer Lohnerhöhung von zirka 25 Prozent über alle Stufen zustimmen, um die Löhne auf das Zürcherische Niveau anzuheben. Einmalig zwei oder drei Prozent Lohnerhöhung zu sprechen oder erneut Pro City Gutscheine zu verteilen, wären nur Tropfen auf einen heissen Stein.

Seitens LSH versuchen wir in den kommenden Monaten in erster Linie, die Bevölkerung und Politiker darauf zu sensibilisieren, dass unsere Nachkommen, unsere Kinder und Jugendlichen vermehrt von unzureichend qualifizierten Lehrpersonen unterrichtet werden, dass die Kantonsregierung dies aber schon vor Jahren erkannt hatte und 2016 zu Sofortmassnahmen aufrief, ohne aber Gehör im Parlament zu erlangen. Des Weiteren arbeiten wir auch mit politischen Vertretern zusammen, um unsere Anliegen in die politische Debatte zu tragen. 

Wie Sie sehen, versuchen wir mittels Aufklärung und Information entsprechende Veränderungen zu erreichen. Ob diese Mittel ausreichen werden, wird die Zukunft weisen...